AktuellesKonzeptKatalogRahmenprogrammSponsoren

 

Rudolf Hauschka

Erz und Gestein

Wenn man irgendwo einen Bergkristall oder ein Stück Kalzit oder Marmor oder sonst kristallisierte Erde findet, so sind diese Stücke stofflich, das heißt chemisch betrachtet, meist dasselbe oder zumindest ähnlich wie die ganze Gegend, in welcher wir das Mineral gefunden haben. Solche Stücke sind dann nur eine besondere reine und geformte Abart des Gesteins, welches das ganze Gebirge aufbaut. Ganz anders ist es, wenn wir zum Beispiel ein Stück Erz finden. Dieses, dessen Hauptbestandteil das Metall ist, durchzieht nur in schmalen Gängen das Gestein und kann deshalb nicht als eine Aufbausubstanz des Erdenkörpers betrachtet werden wie Kalk, Kiesel, Tonerde und Phosphor. Die Metalle und die Nichtmetalle also Erden oder Gesteine scheinen eine ganz verschiedene Beziehung zu haben gegenüber der Erde selbst, wie dann auch gegenüber dem Menschen.
Während die Metalle uns unmittelbar ansprechen durch Eigenschaften, die eine Art warme, innere Regsamkeit offenbaren, wie Klang, Glanz und Leitfähigkeit für Wärme und Elektrizität, bleiben der Stein, der Bergkristall, ja die Erden überhaupt gewissermaßen ungerührt, stumm, starr. Zwar bringen es die Nichtmetalle bis zur kristallenen Durchsichtigkeit, sie werden edel und klar wie eben nur Bergkristall etwa sein kann, sie bleiben aber doch ohne intimere Beziehung, sie schwingen nicht mit, fern und vollendet sind ihre reinen Formen.
Es ist gerade die Beweglichkeit des Metalls, das innerlich Lebendige, was uns anzieht. Wenn wir ein Stück Pyrit finden, oder ein anderes Erz, so fühlen wir uns ganz anders angesprochen als durch das Gestein. Jene sind uns nah durch das innere Feuer, das in Klang und Glanz zur Seele spricht, diese bewundern wir in ihren mathematischen Formen, die unabänderlich seit Jahrtausenden ruhen.
Wo Metalle sind, da beginnt die wundervolle Unruhe der Arbeit und des Strebens.
Die Metalle haben deshalb auch immer eine bedeutsame Rolle in der Kulturentwicklung der Menschen gespielt. Verschiedene Kulturperioden werden mit dem Namen der in ihnen verwendeten Metalle benannt. Die Metalle geben jeweils den Stoff für die menschlichen Werkzeuge. Sie können geschmiedet und gegossen, gehämmert und gezogen werden. Das ist ebenso wie der Klang und die Leitfähigkeit von ungeheurer Tragweite für die menschliche Kulturentwicklung. Die Gesteine dagegen sind unbewegt. Sie klingen nicht, sie leiten nicht, sie lassen sich nicht formen.
Die Eigenschaften der Metalle hängen mit unserem Wesen mehr zusammen, als es zuerst den Anschein hat. Sie sind zutiefst mit uns selbst verwandt und tragen die Entwicklung in der Zeit. Ja, man könnte sagen, es verhält sich Nichtmetall zu Metall wie die stummen äußeren Naturdinge zur singenden, fühlenden Menschenseele. Dieses selbe Verhältnis von „Stumm-gestaltet“ und „seelisch-bewegt“ haben wir auch vor uns in den Grundelementen unserer Sprache. Die Sprache hat eine fundamentale Gliederung. An ihr sind noch viele der schöpferischen Kräfte abzulesen und in früheren Zeiten wusste man auch noch das Wort in seiner tieferen Bedeutung zu würdigen.
... In der Sprache gibt es ein Element, welches als strukturgebend, als formend erlebt werden kann. Das ist das Wesen der Konsonanten. Der Vokal hingegen verleiht dem Wort die Bewegung und dasjenige, was klingt und sich wandelt, was dadurch Träger der tonalen Kontinuität des Wortes ist. Wir legen die Innigkeit unserer Seele in den Vokal. Alle Ausdrucksformen unserer Gefühle haben vokalischen Klang. „Ah, Oh, Uh.“ Wenn wir dagegen dem lauschen, was außerhalb unserer selbst in der Natur ist - das Rollen des Donners, das Prasseln des brennenden Holzes, das Krachen des Eises, der Plumps eines Steines ins Wasser - so sind dieses konsonantische Laute, hervorgerufen durch die Elemente und stimmlosen Dinge. Der Konsonant ist der kristallisierte, erstarrte Ausdruck der außermenschlichen, unpersönlichen Formenwelt. Der Vokal hingegen ist Träger der beweglichen Gestaltungen der Persönlichkeit. Man könnte vielleicht sagen: die Konsonanten bilden den Körper, das Skelett des Wortes, die Vokale sein Blut, seine Seele.
Gesteine und Metalle offenbaren dieselben Qualitäten und die Metalle verhalten sich zu den Gesteinen wie die Vokale zu den Konsonanten

 

Zurück zum Inhaltsverzeichnis.

----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Der Text wurde dem Buch von Rudolf Hauschka, Substanzlehre, entnommen. S. 205 f, erschienen bei Vittorio Klostermann, Frankfurt/Main, 1950

 

ÖffnungszeitenAnfahrtBotanischer GartenPressestimmenGästebuchImpressum