AktuellesKonzeptKatalogRahmenprogrammSponsoren

 

Stahl und Stein


Zwei Materialien, die im Humanmilieu zu einem Gegensatzpaar werden und sich dort angreifen. Der Stein schleift den Stahl und der Stahl splittert den Stein. Dies waren die Gedanken, die mit Gefühlen verbunden, zur Arbeit an dieser Skulptur inspirierten. Die beiden Materialien sollten dazu angeregt werden, Frieden zu schließen und in Ergänzung miteinander ein Kunstwerk zu bilden.
Stahl und Stein waren aufgefordert von ihrer Gegenzerstörung abzulassen und in Gleichwertigkeit und Geschlossenheit als Verbündete vor den Menschen hinzutreten. Und nun in der fertigen Skulptur fordern die Beiden den Betrachter auf, ihre ihnen zugeschriebene Gegensätzlichkeit und die geleistete Zweiheit zuerkennen. Zweiheit hier als Begriff der Zusammenführung der Polaritäten. Rauheit - Blankheit; Räumlichkeit - Flächigkeit; Schwere - Leichte vereint in einer ausgewogenen, ruhigen Skulptur. Nach Fertigstellung der Arbeit war beim Autor noch immer eine Faszination der lebendig-spiraligen Flächigkeit des Edelstahlteils vorhanden und verlangte nach einer weiteren Beschäftigung mit dem Thema. Es kam die Idee auf, diese Gegensätzlichkeiten sozusagen „auf die Spitze zu treiben“. Einen unbehauenen, rohen Stein zu beschaffen, der von der Form her auf eine Spitze zustrebt und diese dann dynamisch mit einer polierten Edelstahlspirale zu verbinden.
Einige Monate später, im September 2002, bot sich dazu die Gelegenheit auf dem Marsberger Metallbildhauersymposium.
Die Marsberger Skulptur trägt einen scheinbar sehr aufwendigen Titel (s. u.) , der sich jedoch aus den Gesprächen und Diskussionen ergeben hat, die mit Passanten geführt wurden. Das Metallbildhauersymposium, in dessen Rahmen die Skulptur entstanden ist, war als offenes Atelier konzipiert.
Der Arbeitsplatz an der Diemelwiese im Zentrum der Stadt lud viele Bürger von Marsberg, aber auch Gäste der Stadt zu Gesprächen über Kunst und über die Arbeit der Künstler ein. Die oft gestellte Einstiegsfrage, „Was soll das hier eigentlich?“, führte meist dahin, dass über die Aufgabe der Kunst in der Gesellschaft gesprochen wurde. Diese Gespräche bekamen manchmal erstaunliche Tiefe. Z. B., dass die Wissenschaft sich von der Aufgabe durchdrungen fühlt, die Welt in ihren Grundlagen zu verändern, d.h. die Schöpfung weiterzuführen, wobei oft zweifelhafte Richtungen eingeschlagen werden. Hat die Kunst als Träger des Ästhetischen und des Schönen auf diesem Gebiet vielleicht ebenfalls eine bedeutende Aufgabe?
Ein Ehepaar aus der Lausitz, das sein Auto auf dem angrenzenden Parkplatz abstellte, wurde von meiner Tätigkeit angezogen. „Hat die Skulptur etwas zu bedeuten?“, war die Frage des Mannes. Auf meine Antwort, er solle sich das Werk doch einmal genauer ansehen, vielleicht könne er dann etwas erkennen, griff die Frau plötzlich enthusiastisch in das Gespräch ein: „Das sieht ja so aus, als ob aus dem Felsen eine Blüte wächst. Eine Blüte ist ja auch etwas ganz anderes als die untere Pflanze und sieht viel schöner aus als diese.“

So entstand allmählich, wie die Skulptur selbst, aus den täglichen Gesprächen der Titel mit dem folgenden Text:


Von der Aufgabe der Kunst
Aus dem Stein heraus wächst die Blüte.
In ihr berührt der Himmel die Erde.
Das Ungeformte wird zur polierten Form.

Der Mensch hat die Aufgabe,
die Schöpfung zu krönen.
Darum zerstöre sie nicht... Mensch!


Skulptur - als „Poetische Skulptur“ aufgefasst - ist nicht Dekoration eines Platzes oder eines Landschaftsausschnittes, sondern Teil der übergeordneten Landschaft, in der verdichtet Wesenhaftes sich ausdrückt.
Poetische Skulptur ist hier Entwicklung aus der Landschaft heraus und sie wird, wenn es gelingt, zu einem erfühlbaren Höhepunkt dieses Landschaftsausschnittes werden.
So wie im japanischen Shintoismus der Glaube an Geistwesen, die die Natur beleben, in dem sie in Flüssen, Bergen, Bäumen und Felsen Wohnung nehmen, eine Heiligung von Felsen oder Bäumen hervorruft, so ist auf der Diemelwiese versucht worden durch Landschafts- und Kunstbildung einen Raum zu schaffen, in dem auch im beinahe städtischen Bereich ein Existenzpotential für elementarisches Wesen entsteht.
Ähnliches kann in Island an Landschaftsteilen erlebt werden, die durch ihre Schönheit und Autonomie als Wohnsitze von Elementarwesen angesehen werden und aus diesem Grunde geheiligt sind. Bei landschaftsverändernden Maßnahmen wie z.B. Straßenbau werden solche Landschaftskomplexe nicht angetastet, es werden weitläufig Umgehungen gebaut.
Auf der Diemelwiese ist ein aus der städtischen Funktionalität befreiter Raum entstanden, der in Verbindung zum Fluss und einer verehrungswürdigen Rotbuche, durch eine ästhetisch und künstlerisch sinngebende Anordnung frisch gebrochener Steine und dem Edelstahlwerkstück einen autonomen Charakter erhalten hat. Das Edelstahlwerkstück, das den Zentralstein der Diabasgruppe krönt, ist durch eine Doppelbiegung seiner Fläche zu einem Urphänomen inneren Lebens geworden.
„Man wird zum Beispiel finden, daß, wenn man eine Fläche biegt, und dann doppelt biegt, so daß die Biegung wieder gebogen ist, man das einfachste Urphänomen des inneren Lebens hat. Eine Fläche, die in dieser Weise gebogen ist, daß die Biegung wieder gebogen ist, kann in der mannigfaltigsten Weise verwendet werden, und es wird - selbstverständlich muss das weiter ausgebildet werden - aus der Flächenhaftigkeit selber das innere Leben des Flächenhaften hervorgehen.“
Die Aufgabe, die künstlerisch zu bewältigen war, bestand darin, bei aller Naturgegensätzlichkeit der Materialien - Heraussprengung der Diabassteine aus einem benachbarten Steinbruch und Verarbeitung eines hochtechnisierten Stahlgemisches - der Landschaft ein Stück Naturhaftigkeit zurückzugeben. Der für das Kunstwerk ausgewählte Landschaftsausschnitt , misshandelt und zerschnitten - es musste ein städtischer Parkplatz geschaffen werden - blieb nur noch als eine abschüssige Wiese zum Fluss als Schutz vor Hochwasser bestehen. Der gerade Schnitt, der die Wiese vom Parkplatz trennt, wirkt wie eine offene Wunde. Auf der anderen Seite engt der an dieser Stelle begradigte Fluss den Landschaftsausschnitt ebenfalls ein.
Kann hier eine Befreiung stattfinden?
Die äußeren Grenzen sind starr, nur eine innere Befreiung kann in dieser Situation helfen!
Diese Hilfe wurde bei der japanischen Gartenkunst gesucht und gefunden. Bekanntlich bilden die traditionellen Klostergärten in kleinem oft ummauerten Raum einen Kosmos für sich. Viele Regeln dieser Gartenkunst wurden aus den Grundsätzen des chinesischen Feng-shuei abgeleitet. Zum Beispiel entstand ein raffiniertes System von sich windenden Gartenwegen und Stegen in den Klostergärten aus der Feng-shuei-Erkenntnis heraus, dass auf ihnen die guten und wohlgesinnten Geister wandelten, während die bösen die geraden Wege liebten. Dass es sich hier vielleicht doch nicht um einen primitiven Aberglauben handelt, zeigen die Wirkungen, die sich aus unserer technischen Geradheitsideologie ergeben. Unsere ökonomisch-rationale Vorliebe für das Gerade bringt uns mehrund mehr in Schwierigkeiten. Die begradigten Flüsse beschleunigen nicht nur die Schiffahrt und erlauben größeren Schiffen die Passage, sondern transportieren auch schneller größere Wassermengen, was bei Überschreitung der kritischen Mengen bei der Schneeschmelze oder bei Starkregen zu Katastrophen führt. Ebenfalls führen unsere geraden, superschnellen Straßen zu einer volkswirtschaftlichen Ideologie, die letztendlich Produktion und Leistung unserer Wirtschaft schwächt. Unsere Überheblichkeit dem Wissen und Glauben narrativen Volksgutes gegenüber wird uns wohl noch manche gemeinsame und schmerzliche Erfahrung bereiten. Vielleicht führen die personellen und finanziellen Aufwendungen, die die jährlichen Überschwemmungen mit sich bringen, da sie ja auch unsere Volkswirtschaft stark belasten, doch einmal dazu, den wissenschaftlich-technischen Geradheitswahn einigermaßen zu korrigieren.
Nach dieser kleinen Exkursion in die große Welt wollen wir zurückkehren auf unsere Diemelwiese, deren Geradheitsproblem der Lösung bedarf. Um eine ästhetisch-geistige Auflösung zu erreichen, wurden die 6 Steine der Aufbaugruppe so gesetzt, dass sie einer doppelbogenförmigen Linie folgen. Dadurch wird neben der befreienden Ungeradheit auch eine Zentrierung auf die Trägergruppe erreicht. Die zentrale Trägergruppe führt die Kräfte, die in dem Linienraum der Steine zusammenfließen, dem Edelstahlwerkstück zu. Dort findet die Unio mystica, die Vereinigung der unteren Kraftfelder mit denen, die von oben kommend in die Skulptur einstrahlen, statt.
Bei meditativer Betrachtung zeigt sich, dass das krönende Edelstahlwerkstück von seiner Oberfläche her dienenden Charakter besitzt. Je nach Ausgangspunkt der Betrachtung spiegelt sich entweder der Himmel oder der Erdbereich wider. So entsteht auch aus dieser Sicht eine Verbindung von oben und unten.

 

Zurück zur Übersicht der Skulpturen

 

-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Rudolf Steiner, Kunst und Kunsterkenntnis, Das Sinnlich-Übersinnliche in seiner Verwirklichung in der Kunst, 2. Vortrag, München, 17. Februar 1918, GA Nr. 271, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1985

 

 

ÖffnungszeitenAnfahrtBotanischer GartenPressestimmenGästebuchImpressum