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Bernd F. K. Bunk

Was heißt »Poetische Skulptur« und wie ist sie einzuordnen?

Ein Schaffenskomplex verteilt über die Jahre 1970 - 2002 trägt diesen Namen.

Aber enthält dieser Name nicht einen Widerspruch in sich?
Werden hier nicht zwei Begriffe zusammengefügt, deren Sinn in keinerlei Beziehung zu einander stehen?
- Poetisch von Poesie kommend und Skulptur als etwas materiell Gebildetes?

Die Eindeutschung des Wortes Poesie hilft da weiter: „Das Dichten, das Verfertigen zu ...“. Der Begriff beinhaltet also einen Prozess des Dichtens, des Verdichtens oder auch den des Konzentrierens (in einem Punkt vereinigen).
Über den „Umweg“ der deutschen Sprache bekommt die »Poetische Skulptur« ihren Sinn, in dem man sie als ein bis in die materielle Dichte gebrachtes geistiges Gebilde versteht.
Wenn der schwäbische Philosoph und Mystiker F. Ch. Oetinger (1702-1782) sagt: „Leiblichkeit ist das Ende der Wege Gottes“, so kann dieser Prozess auf ein Kunstwerk bezogen, als die Verkörperung eines Unsichtbaren bezeichnet werden. Immer war auch die Materialisierung einer »Poetischen Skulptur« das Ende eines langen Schaffensprozesses. Von der Idee ...dem geistigen Erlebnis führte der Weg über die Verdichtung bis zur endlichen Sichtbarwerdung.
Zu einer weiteren Verdeutlichung möge dem das Beispiel einer »Geschwätzigkeit« von Skulptur gegenübergestellt werden.
Christian Morgenstern definiert Schwätzen folgendermaßen:
„Alles Schwätzen hat zur Grundlage die Unwissenheit um Sinn und Wert des einzelnen Wortes. Für den Schwätzer ist die Sprache etwas Verschwommenes. Aber sie gibt's ihm genugsam zurück dem »Verschwommenen«, dem »Schwimmer«“.
Und an anderer Stelle schreibt er:
„Die Sehnsucht meines Lebens ist eine oft übermächtige Sehnsucht nach praktischem Schaffen im Großen. Plastik wäre mein höchster Fall. ...“
Es gibt eine tiefe Verwandtschaft zwischen der Bildhauerei und der Dichtkunst. Goethe wusste in einer frühen Lebensperiode nicht, ob er Dichter oder Bildhauer werden sollte.
Zahlreiche Werke von Joseph Beuys, einem der bekanntesten Vertreter der Postmoderne, sind Beispiele geschwätziger Bildhauerkunst. Ob man seinen »Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch« (Seite 2) oder »Das Ende des 20. Jahrhunderts«, (beides Spätwerke) betrachtet, so sind diese skulpturalen Manifestationen in eine ungenaue, vieldeutige, geschwätzige Formensprache gefasst.
Nur in einer Kunstepoche - der postmodernen -, die vielleicht am treffendsten mit dem Begriff Musealismus zu bezeichnen ist, konnte ein Bildhauer wie Beuys eine derartige, verherrlichende Resonanz erzeugen.

Musealismus - vom Atelier ins Museum

Dieser vom Autor geprägte Begriff bezeichnet eine wesentliche Ausrichtung des Kunstschaffens im Bereich der Bildenden Kunst während der Postmoderne. Dienten Kunstwerke früher kultisch-religiösen Zwecken, hatten sie gesellschaftlich integrierende Bestimmungen und waren in Raum und Milieu eingebunden, so änderte sich das mit dem Aufkommen des Museums. Als Sammlungsinstallationen entstehen seit dem 16. Jahrhundert Stätten, in denen als kulturell bedeutsam eingestufte Gegenstände zur Betrachtung angesammelt und aufbewahrt werden. Vom 18. Jahrhundert an kam dann der historizierende Aspekt hinzu. Seit dem Beginn der Moderne wurde das Museum Umgebung für die autonomen Werke ausgesuchter Künstler. Dies war und ist Anlass für Künstler und Museumsmacher das Museum direkt als zukünftige Umgebung der entstehenden Kunst anzusehen. Das bringt eine besondere an dem Museum ausgerichtete Kunst hervor. Diese speziellen Werke, deren Existenzberechtigung allein das Museum darstellt, werden außerhalb dieser sanktionierten Räume zu völlig sinn- und zusammenhangslosen Materialanhäufungen. Der Maler und Kritiker Peter Fuller hat diese Entwicklung schon in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit den Worten beschrieben:
„Ich habe das Gefühl, dass wir heute den Abgesang auf die europäische Tradition der professionel- len schönen Künste erleben, einen Epilog, in dem Kontext und Gegenstand der Kunst zum größten Teil die Kunst selbst ist.“
So produzieren Künstler also direkt für das Museum oder werden von der Museumsleitung beauftragt, Kunstwerke des Museums so zu arrangieren, das neue Kunstinstallation aus den Kunstwerken entstehen.
„Das Museum für angewandte Kunst in Wien definiert sich geradezu durch Sammlungsinstallationen, die Künstler wie Donald Judd und Jenny Holzer, Günter Förg und Heimo Zobernig entworfen haben.“
Ken Wilber, ein Kulturtheoretiker und vielleicht der „kreativste Denker der Postmoderne“ (Daniel Goleman), sieht die Kunstszene vor der Jahrtausendwende als einfach geschmacklos an:
„Nach dem Tod der Avantgarde und dem Triumph der Ironie scheint die Kunst zu keinen ernsthaften Aussagen mehr fähig zu sein. Narzißmus und Nihilismus führen eine Schlacht um die Mitte einer Bühne, die es gar nicht mehr gibt, Kitsch und Schwulst liefern sich einen grotesken Ringkampf um eine Repräsentation, die längst bedeutungslos geworden ist, und nichts als die eitle Ichbezogenheit von Künstlern und Kritikern gleichermaßen, die im Spiegelkabinett einer in Gleichgültigkeit versunkenen Welt ihr eigenes Bildnis bewundern, scheint das Feld zu beherrschen.“
Noch klarer auf den Punkt bringt es die Kunsthistorikerin Barbara Rose:
„Die Kunst, die heute die Museen und Galerien füllt, ist von so kümmerlicher Qualität, dass sich keine wirklich kritische Intelligenz gedrängt fühlen kann, sie zu analysieren ... Unter Künstlern und Kritikern herrscht durchweg die Stimmung, dass wir kulturell am Ende der Fahnenstange angelangt
sind.“

Das heutige Kunstmuseum, die Requisitenkammer der Postmoderne

Die Postmoderne ist mit ihren verbalen Tiraden, der metaphysischen Kurzschlüs­sigkeit und der diskursiven Diversität an eine Grenze gelangt, die bei Überschreitung zur Lächerlichkeit führt. Hans-Peter Müller, Soziologe und Amerikakenner schreibt in seinem Nachruf auf die Postmoderne:
„Was bleibt von ihr (der Postmoderne, der Verf.), und wie wird sie erinnert werden? Hat es sie jemals gegeben, haben wir einmal in postmodernen Zeiten gelebt, oder war dies vor allem eine suggestive Schimäre modischer Denker jenseits des Rheins? War sie nur eine Denk-, aber keine Lebensform? War sie nur Diskurs, aber niemals Realität? ...
Woher dann dieser radikale Gestus, dieser bilderstürmerische Impetus und die Gebärde des revolutionär Neuen? Warum Aufklärung postmodern, wie man diesen ikonoklastischen Elan auch bezeichnen könnte? Karl Marx, neben Nietzsche der größte Ideologiekritiker, bemerkt im Achtzehnten Brumaire des Louis Bonaparte, dass sich alle weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen zweimal ereignen: »das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce«. Vielleicht bietet uns die Postmoderne den Komödienstadel der Aufklärung - eine Aufklärung der Aufklärung, der im Eifer des Gefechts die »performativen Widersprüche«, in die sie sich verstrickt, entgehen: Es gibt keine Wahrheit, heißt die postmoderne Wahrheit. Es gibt keine transzendentale Begründung der Wissenschaft, lautet die Basis postmodernen Denkens. Es gibt nur Diversität, heißt die homogenisierende Grundaussage“
Auf einen einfachen Nenner gebracht bleibt uns nur die - von den Pomos vielgeschmähte - Rede von der postmodernen Beliebigkeit als einziger Erbschaft. Aber diese Erbschaft beinhaltet eine riesige Hinterlassenschaft: den Kulturmüll der postmodernen Bildenden Kunst, deren Entsorgung zukünftigen Museumskuratoren und –direktoren viele Kopfschmerzen bereiten wird.
Hat sich die Philosophie in aller Stille von der Postmoderne verabschiedet und uns in einen Prozess ihres Vergessens eintreten lassen, so wird die Bildende Kunst noch Jahrzehnte damit zu kämpfen haben. Die vielen neuen, überdimensionierten Museen unserer postmodernen Kultur können nicht einfach dem Vergessen übergeben werden, sie stehen schließlich auf der Erde herum, und die teuer eingekauften postmodernen Werke sollen doch auch weiterhin unsere Museen und Galerien der modernen Kunst zieren und Bewunderung beim Publikum erheischen. Aber ... wenn sie niemand mehr sehen will, was dann? Wer schaut sich einen Beuys schon mehr als einmal an? Was soll man in dem aufgeblasenen Museum für Moderne Kunst in Frankfurt/M. mehr anfangen, als gelangweilt durch die Räume zu schlendern. Museumsevents, wie »die lange Nacht der Museen« können da kaum Abhilfe schaffen. Verwirrende Museumsinstallationen, bei der die Kunstobjekte der Museen durcheinandergewürfelt werden, sind auf die Dauer kaum attraktiver. Seriöse Kunstmuseumsdirektoren, wie Uwe M. Schmude von der Hamburger Kunsthalle, warnen vor letztgenannten Methoden:
„Wie belebend punktuelle Übersprünge, Verwirrungsstrategien, Grenzverwischungen oder subjektive Analogien gelegentliche sein mögen - die Kunstwerke auf Dauer aus dem Kontext zu reißen, der ihnen im Museum einen unverwechselbaren Ort gewährt, hieße fahrlässig mit Geschichte und Kunstgeschichte, aber auch fahrlässig mit dem Publikum umzugehen, das Erklärung und Sinn sucht.“

Was fängt man also mit den Requisiten an , wenn das Stück nicht mehr gespielt wird?

Wo steht die »Poetische Skulptur«?
Wurzeln und soziokünstlerisches Milieu

In dem Schaffenskomplex sind viele Versuche unternommen worden, durch lange Verdichtungsprozesse eine kleine Anzahl von Skulpturen zu schaffen, die Wesentlichkeiten ausdrücken. Es sollte vermieden werden, in das schwarze Loch postmodernen Kunstschaffens zu fallen.
„Die postmoderne Dekonstruktion führt, wie man schließlich erkannte, unwiderruflich in den Nihilismus: Es gibt nirgendwo echte Bedeutung, nur verschachtelte Täuschungen. Damit ist aber Kunst nicht mehr aufrichtige Äußerung, sondern Anarchie, die nichts anderem als persönlichen Launen und narzißtischem Exhibitionismus entspringt. Das von der Implosion der Postmoderne erzeugte Vakuum füllt triumphierend das Ich.
Bedeutung ist kontextabhängig, und Kontexte sind grenzenlos, womit Kunstschaffender und Kunstkritiker gleichermaßen verloren in einem aperspektivischen Raum dahintreiben, den nichts als das Schnurren der egozentrischen Maschine erfüllt, die die ganze Darbietung antreibt.“
Diese Verwilderung der herrschenden, globalen Kunstszene kann nur durch stille, beharrliche Arbeit am Künstlerischen selbst abgebaut werden. Die lauten Marktschreier auf der Dokumenta und den Biennalen sollte man schreien lassen, aber sie sollten weniger und weniger die Arbeit der Kunstschaffenden im neuen Jahrtausend beeinflussen können. Vielleicht wäre zur Rettung der Bildenden Kunst nicht der neue Beruf eines Kurators vonnöten, der als Fachmann für Kunstvermittlung in den Bereichen „für Sammlungsaufbau und Ausstellungsinszenierung, Kunstevents und Trendshows, Öffentlichkeitsarbeit und Beipackliteratur, Zwischenhandel und Sponsorengewinnung ebenso wie solche für die Projektbetreuung von Kunst am Bau und im öffentlichen Raum“ auftritt, sondern eher Menschen, die dem Stand der d o b o angehören könnten. Im japanischen Spätmittelalter gab es am Hof der Shogune Gesellschafter und Kunstberater, die wesentlich zur Schaffung einer verfeinerten Begriffswelt des Schönen unter den gebildeten Zeitgenossen beitrugen.
„Diese entsprang dem bewussten Streben nach Erfassung der Wesenheit der Dinge, einem Streben nach innerem Frieden und Harmonie. Man hatte keineswegs einen endgültigen, reglosen Stillstand im Sinn, sondern eine dynamische Ruhe, in der man sich seinen Eingebungen überließ. Sie war das Verbindungsglied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und löste den Menschen aus dem ermüdend einförmigen Gang der Zeit. Eine spezifische Qualität dieser Ästhetik, ausgedrückt im Begriff der j u g e n, wörtlich Geheimnis, bezeichnete die durch ein Kunstwerk ausgelöste Stimmung, und zwar ein Kunstwerk, das etwas Geheimnisvolles enthält, auf etwas hindeutet, das den Dingen tieferen Sinn verleiht, doch unfaßbar bleibt.“
Während der Studienzeit in Paris hat das Werk Constantin Brancusis starken Eindruck auf den sich in einer existentiellen Krise befindlichen Autor gemacht. (siehe Anhang, Lebenslauf) Mitentscheidend für den Entschluss, ein Studium der Bildhauerei zu beginnen, war u.a., die bildhauerischen Intentionen Brancusis fortzusetzen und weiterzuentwickeln.
Manfred Schneckenburger schreibt 30 Jahre später in dem umfangreichen Werk „Kunst des 20. Jahrhunderts“ über Brancusi:
„Er begründet (so) nicht nur den »Purismus der modernen Plastik« (Werner Hofman), sondern setzt darüber hinaus noch Exempel für die minimalistische Kunst der sechziger Jahre. ... Seine Kunst ist primär mystische Welterfahrung , sinnliche Weisheit der Form, die ins Geistige umschlägt. Er sucht beharrlich und behutsam den immer reineren, vollkommeneren Formleib, der im makellosen Schliff transzendiert. Das hat nichts mit Abstraktion und erst recht nichts mit Stilisierung zu tun, denn »mein Werk zielt vor allem auf Realismus. Ich suche die innere, verborgene Realität, das innere Wesen der Dinge in ihrer eigenen unbeugbaren Natur.«(Constantin Brancusi) Die innere Wesenssumme freizulegen, das ist es, worum Brancusi sich fast ein halbes Jahrhundert lang bemüht.“

In den »Poetischen Skulpturen« sind Themen verarbeitet, die sich aus meinem Leben zwischen 1970 und 2001 ergaben. Der fast dreißigjährige Aufenthalt auf der Insel Juist, das zurückgezogene Leben auf einer tideabhängigen Nordseeinsel, biologische Studien dort und eine Tätigkeit als Vogelzähler ließen ebenso die Themen zu seinen Skulpturen reifen, wie die zwölfjährige Praxis als Kapitän eines Großseglers, mit dem ich die Ost- und Nordsee befuhr. Dies Leben in der Natur ließ Skulpturen entstehen, die einen Standort brauchen, den die Natur prägt. Museales oder urbanes Milieu zehren die skulpturale Kraft dieser Werke auf.

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Aus dem „Duden, das große Wörterbuch der deutschen Sprache“ in 8 Bänden, Dudenverlag, Mannheim, 1994

Christian Morgenstern, Stufen: Sprache, 1913

Christian Morgenstern, Stufen: In me ipsum, 1897

1982 - 1983, Hamburger Bahnhof, Museum für Gegenwart, Berlin

Zitiert in J. Passmore, „Serious art, La Salle, III.: Open Court, 1991, Seite 16

Uwe M. Schmude, „Besinnungslose Experimente, wie internationale Museen mit neuen Konzepten ihre alte Autorität aufs Spiel setzen“ Die Zeit vom 31. Dezember 2001, Nr. 51)]

Ken Wilber, Das Wahre, Schöne, Gute, Geist und Kultur im 3. Jahrtausend, Seite 153, Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt/M., 1999

J. Passmore, Serious art, S.16, La Salle, Ill.: Open Court, 1991

Hans-Peter Müller, Das stille Ende der Postmoderne, Postmoderne, Sonderheft Merkur, Klett-Cotta, Berrlin,1998

Bezeichnung, die sich die Avantgard-Zugehörigfühlenden und Radical-chic-Fühlenden an der New York University in den neunziger Jahren gaben.

Uwe M. Schmude, „Besinnungslose Experimente, wie internationale Museen mit neuen Konzepten ihre alte Autorität aufs Spiel setzen“ Die Zeit vom 31. Dezember 2001, Nr. 51

Ken Wilber, Das Wahre, Schöne, Gute, Geist und Kultur im 3. Jahrtausend, Seite 156, Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt/M., 1999

Walter Grasskamp, „Die Kunst - ein Klüngel?“, Die Zeit vom 13. Juli 2000, Nr. 29

Die Männer des d o b o waren halb Laienbrüder, halb Zen-Mönche und genossen am Hofe des Shoguns große . Hochachtung wegen ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem Gebiet der Künste.

Zdenek Hrdlicka und Venceslava Hrdlickova, „Japanische Gartenkunst“, Seite 55 f, Verlag Werner Dausien, Hanau/M. 1990

Ingo F. Walther (Hrg), „Kunst des 20. Jahrhunderts“, Seite 425, Taschen Verlag, Köln, 2000

 

 

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